Powermeter - Tipps für die Kaufentscheidung

Funktionsweisen - Einsatz für Hobbyfahrer

In meiner Arbeit als Coach und Trainerin mit dem beruflichen Hintergrund als Maschinenbauingenieurin werde ich häufig um einen Kommentar zum Kauf eines Leistungsmessers am Rennrad oder Gravel gebeten. Die Fragen konzentrieren sich auf zwei Komplexe:

  • Welcher Powermeter ist der richtige für mich?
    Kurbelbasiert, Messung im Kurbelarm oder ein Pedalsystem? Einseitig oder zweiseitig? Was sind die bauartspezifischen Vor- und Nachteile?
  • Was bringt mir als Hobbysportler*in ein Leistungsmesser am Rennrad?
    Lohnt sich die Investition?

 

 

Video ist ab Sonntag, den 05.03.2023 um 17.00 Uhr live!

Welcher Powermeter ist der richtige für mich?

Powermeter waren lange Zeit dem Hochleistungssport vorbehalten. Pionier war Ulrich Schoberer mit seinem Unternehmen SRM, der nicht nur die Hardware entwickelte, sondern gemeinsam mit Trainingswissenschaftlern eine völlig neue Dimension der Trainingsanalyse und -steuerung erarbeitet hat. Der Einsatz von Powermetern hat im Radsport das Training auf ein neues Niveau gebracht. Ohne Übertreibung: ein Quantensprung und bis heute der Benchmark für alle Wettbewerber.

 

Wie bei jeder neuen Technologie waren die Systeme anfänglich sehr teuer und für den Amateur oder Hobbysportler allein schon finanziell außer Reichweite. Anfang der 2010er kamen dann Wettbewerber zum SRM-System auf den Markt und Powermeter schafften den Einzug in den Breitensport:

  • Powermeter wurden deutlich günstiger
  • die Trainingswissenschaft hatte Trainingsgrundlagen zum sinnvollen Einsatz von Powermetern erarbeitet und veröffentlicht
  • es wurden günstige / kostenlose und durchaus mächtige Softwaretools zur Trainingsauswertung und -steuerung auf den Markt gebracht, die auch ein C-Trainer, Amateur oder ein interessierter Laie verstand.

Leistung verstehen

 

Jeder Radsportler hat eine Vorstellung davon, was es heißt auf dem Rad eine hohe Leistung aufzubringen. Umgangssprachlich sprechen wir davon "...Druck auf´s Pedal zu bringen", " ... in den roten Bereich fahren", " ... am Horn ziehen" uvm.

 

Um einen Leistungsmesser für das Rennrad, Gravel oder MTB auszuwählen und sinnvoll einzusetzen, hilft es, den technischen Begriff der Leistung zu verstehen. Ein anschauliches Beispiel aus dem Physikunterricht oder der Arbeitswelt hilft dabei: 

 

Trage ein Gewicht von A nach B. Überlege, durch welche Größen die Leistung für diese Arbeit bewertet werden könnte? 

 

Je schwerer das Gewicht ist, je schneller Du es schaffst und je weiter der Weg zwischen A und B ist, umso größer ist die Leistung, die du vollbracht hast. Es sind also drei physikalische Basisgrößen, die die mechanische Leistung beschreiben:

 

Gewicht, Zeit und Weg.

 

 

Wo finden sich analog dazu diese Parameter am Rad? Es sind:

  • KRAFT, mit der wir auf´s Pedal treten
  • TRITTFREQUENZ, mit der wir dabei die Kurbel wirbeln lassen
  • KURBELLÄNGE, die den Kreisumfang definiert, auf dem wir die Kraft ausüben

 


Je mehr Kraft wir auf das Pedal bringen, je höher die Trittfrequenz ist und je größer die Kreisbahn (-> Kurbellänge) ist auf der wir das Pedal rotieren lassen, umso größer ist die erbrachte Leistung.


Da ich mich in diesem Artikel mit der technischen Seite der Powermeter beschäftigen möchte, hier nur ein sehr kurzer Exkurs in die Trainingswissenschaft:

 

Um unsere individuelle Leistungsfähigkeit maximal zu entfalten, gilt es im Training diese Parameter Kraft, Trittfrequenz und Kurbellänge sehr individuell nach Fahrertyp und Disziplin zu optimieren, nicht unbedingt gleichwertig zu maximieren!!

 

Besonders die Kurbellänge ist durch biomechanische und motorische Grenzen nur geringfügig variabel und damit ein Thema für den Bikefitter. Im Zeitfahren geht der Trend zum Beispiel eher zu kürzeren Kurbeln, um oberen und unteren Totpunkt geschmeidiger zu überwinden.

 

 

Lange Zeit wurde es als optimal angesehen, die Kraft über den gesamten Umfang der Kurbeldrehung möglichst gleichmäßig aufzubringen - der berühmte "runde Tritt"! Das heißt wir sollten versuchen in der Druckphase, über den oberen und unteren Totpunkt und in der Zugphase die immer gleiche Kraft tangential auf das Pedal zu bringen.

 

Diese sehr absolute Formulierung ist mittlerweile überholt. Neuere Studien weisen darauf hin, dass eine biomechanische Leistungs- und Bewegungsoptimierung durchaus komplexer ist. Wer mehr dazu wissen möchte, findet HIER einen guten Artikel dazu.

Zurück zur Technik:

Überraschung: Ein Powermesser misst keine Leistung!

Die mechanische Leistung ist nicht direkt als physikalische Größe messbar, sondern wird in einer elektronischen Messeinrichtung über die drei eben identifizierten Faktoren errechnet:


Die Messgröße LEISTUNG wird über eine mathematische Beziehung aus Materialkonstanten und Geometrieparametern der Bauteile sowie der gemessenen Trittfrequenz und gemessenen

 

VERFORMUNG, die sich aus der Krafteinleitung in das Pedal* ergibt,

 

errechnet.


Durch die Kraft, die wir auf das Pedal ausüben, verformt sich das gesamte System (siehe Bild). Die Verformungen finden im Mikrobereich statt, sind nicht spürbar und schon gar nicht sichtbar, aber mithilfe von sogenannten Dehnungsmesstreifen messbar.

 

Zur Messung der Verformungen bieten sich folgende Stellen** an:

  • Verformungen der Stege im Kurbelstern/-spider
  • Verformung (3D-Biegung) des Kurbelarms
  • Verformung (3D-Biegung) der Pedalachse*

 

Die Möglichkeit, die durch die Pedalkraft bewirkte Verformung an verschiedenen Stellen zu messen, führt zu den drei bekanntesten Typen von Powermetern: Kurbelbasierte Systeme, Messsysteme in den Kurbelarmen und in den Pedalen.




*Es gibt offenbar Pedalsysteme, die nicht die Verformung der Achse, sondern direkt die Kraft auf das Pedal messen. Leider findet man keine Informationen dazu.

 

**Die Messung in der Hinterradnabe wie sie Powertap anbietet, ist zwischenzeitlich selten anzutreffen, da das System im Vergleich zu den obengenannten deutlich schwerer ist. Vorteil: Ein Hinterrad ist schnell getauscht.

Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus den verschiedenen Bauarten?

Das für mich wichtigste Kriterium zur Bewertung von Powermetern, ist die Messgenauigkeit. Wenn man den Herstellern und den Tests der einschlägigen Magazine glauben darf, ist das zumindest im Neuzustand beeindruckend gut. Die maximale Abweichung wird bei fast allen Systemen mit 1 bis 2% angegeben.

 

Wie sieht das langfristig aus? Dazu gibt es kaum Untersuchungen. Messsysteme, die derart intensiv äußeren Belastungen ausgesetzt sind, müssen nach meinem Anspruch regelmäßig fachgerecht überprüft werden. Das systeminterne "Kalibieren" reicht nicht!!! Dazu weiter unten mehr.

Es gibt  - bauartbedingt - Systeme, die mich zweifeln lassen, dass eine hinreichende Genauigkeit über die Lebenszeit der Messeinrichtung erreicht werden kann:

 

Pedalsysteme

 

Pedalsysteme weisen für die empfindliche Messtechnik zwei kritische Punkte bzw. Fehlerquellen auf:

  • Zum einen sind die Pedale sehr exponiert. Dass heißt bei Stürzen oder auch nur bei "Umkippern" landet das Rad immer auf dem Pedal mit seiner sehr empfindlichen Elektronik. Selbst wenn die Messachse vielleicht nicht sofort Schaden nimmt, ein eventueller Schaden an der Elektronik ist nur erkennbar, wenn sie komplett ausfällt; Meßfehler sind nicht sofort offensichtlich.
  • zum Zweiten wird die Biegung der Messachse im hohen Maße von dem Hebelarm, oder "Einschraubtiefe" des Pedalgewindes, beeinflusst. Anschaulich: eine kürzere Pedalachse biegt bei gleicher Pedalkraft nicht so stark durch, wie eine lange Pedalachse. Da kann bereits ein minimal festeres oder weniger festes Einschrauben einen Messfehler produzieren. Ein vorgegebenes Anzugsmoment verringert die Fehlerquelle, eleminiert sie aber nicht. Die Messergebnisse können sich daher bei erneuter Montage als nicht hinreichend reproduzierbar erweisen.

 

 

Einseitige Messung

 

Einseitig messen und den Wert verdoppeln? Die Messung selbst mag unter Laborbedingungen stimmen. Aber der Ansatz funktioniert nur, wenn der Fahrer eine 50/50 rechts/links Balance beim Treten hat. Mehr Theorie als Praxis. 

 

Wenn ein Radsportler nur ein einziges Rad fährt, mit dem System auch seine Leistungstest durchführt und die Werte nur zur relativen Bewertung heranzieht, mag es noch hinnehmbar sein.

Kurbelbasierten Systeme

 

In kurbelbasierten Systemen ist dagegen die Elektronik deutlich geschützter unterzubringen. Auch steht erheblich mehr Bauraum zur Verfügung, so dass sogar mehrere redundante Messeinheiten im Spider Platz finden, die Mehrfachwerte liefern und gegeneinander abgeglichen werden können. Bei SRM sind es nach meiner Information vier Dehnungsmesstreifen, in den wissenschaftlich genutzten Systemen sogar acht.

 

Leider halten sich die Hersteller mit detaillierteren Informationen zur verbauten Technik sehr zurück, so dass ein fundierter, objektiver Vergleich schwierig ist.

 

 

Meine Vergleichstests mit Bordmitteln

 

Ich habe relative Vergleiche gebrauchter, älterer Systeme, soweit sie mir zugänglich waren, durchgeführt, indem ich zwei Systeme parallel montiert habe. Das waren mehrere Stages (einseitig), Garmin Vector (einseitig), Quarq, Powertap Hinterradnabe und Kickr Core. Als Referenz stand ein kalibriertes SRM bzw. der Kickr Core zur Verfügung.

 

Mein persönliches Fazit:

  • Kurbelbasierte Systeme zeigten die besten Genauigkeiten. SRM beweist seinen Premiumstandard; besonders auch bei älteren Kurbeln noch sehr genau.
  • Einseitige Messsysteme sind nur sinnvoll, wenn überprüft wurde, dass der Fahrer eine ideale rechts-/links - Balance tritt
  • Mein Misstrauen gegenüber pedalbasierten Systemen wurde bestärkt.

 

An meinen Rädern sind daher ausschließlich kurbelbasierte Systeme (SRM) eingebaut (alle bei ebay Kleinanzeigen gebraucht  gekauft).

 

 

Mein Credo: Lieber gar nicht messen, als falsch messen!

Folgende Tabelle fasst die bauartbedingten Vor- und Nachteile zusammen (Klick zum Vergrößern).

 

 

Wer selbst Systemvergleiche anstellen will: Zwift bietet ein tolles und kostenloses Tool für eigene Vergleiche, das ZwiftPower’s Dual Recording Power Analysis Tool.

Begriffe verstehen: Powermeter kalibrieren oder eichen?

Die Begriffe kalibrieren und eichen werden umgangssprachlich fälschlicherweise oft synonym verwendet. Da viele Radcomputer das Kalibrieren eines Powermeter anbieten, ist es wichtig zu verstehen, was das bedeutet.

 

Bei allen Messsystemen kann es aufgrund äußerer Einflüsse (Verschleiß, Temperatur, Feuchtigkeit, Stoßbelastungen, Abrasion uvm.) mit der Zeit zu Abweichungen kommen. Bei vielen Messeinrichtungen ist daher per Gesetz eine regelmäßig amtliche Eichung vorgeschrieben. Waagen im Supermarkt oder Apotheken unterliegen zum Beispiel der Eichpflicht. Eichen dürfen nur amtlich zertifizierte Institutionen.

 

Beim Eichen wird das zu untersuchende System mit einem geprüften und zertifizierten Referenzsystem (schon mal was vom "Urmeter" gehört?) verglichen und bei Bedarf justiert.

 

Ein System kann niemals selbst vollständig überprüfen, ob es Messfehler aufweist. Das wäre ja auch irgendwie unsinnig: Wenn ein System selbst wüsste, was richtig ist, warum sollte es dann überhaupt falsch anzeigen?

 

 

Was möglich ist, ist ein systeminterner Abgleich auf Faktoren, soweit deren Einfluss auf die Messung bekannt (berechenbar oder mit Normwerten vergleichbar) ist. Das ist, was Radcomputer machen und als "kalibrieren" bezeichnen.

 

Bei Powermetern ist das durch den Radcomputer durchgeführte Kalibrieren wohl im wesentlichen eine Anpassung auf den Einfluß von Temperaturschwankungen. Wie oben erläutert, messen die Powermeter Verformungen. Diese sind stark temperaturabhängig: Je wärmer es ist, desto stärker verformen sich Kurbelarm, Pedalachse oder Kurbelstege unter Belastung. Ob gerechnet oder in Versuchen ermittelt - das ist reproduzierbar und damit systemintern abgleichbar.

 

 

 

Nach meinen Informationen ist SRM der einzige Hersteller, der eine verlässliche Überprüfung und Justierung als Serviceleistung im Werk anbietet. Vielleicht nicht vom Deutschen Eichamt zertifiziert, aber mit wissenschaftlicher Genauigkeit.

 

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